Bundesebene überschreitet mit „maximalen Mindestabständen“ für Windkraft ihre Gesetzgebungskompetenz: Baurecht im Bereich Gefahrenabwehr ist Kompetenz der Länder
Der Bundestag hat 2020 eine Änderung des Baugesetzbuches vorgenommen. In § 249 Absatz 3 Satz 2 BauGB wird den Ländern vorgeschrieben, dass die Mindestabstände für Windkraftanlagen zu Wohnbauten nur noch mit maximal 1.000 Meter festgelegt werden dürfen.
„Wir halten die Regelung nicht für verfassungsgemäß. Bei den Vorschriften zu Mindestabständen handelt es sich um Bauordnungsrecht, welches alle Regeln zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung beinhaltet. Die Gesetzgebungskompetenz für solche Vorschriften liegt aber nicht beim Bund, sondern bei den Ländern. Folglich überschreitet die Bundesebene ihre Gesetzgebungskompetenz, indem sie diese Gesetzgebungskompetenz der Länder untergräbt und den Erlass von sinnvollen Gefahrenabwehrregeln verbietet“, so der Fraktionsvorsitzende Péter Vida.
1.000 Meter Mindestabstand reichen in der Praxis oft nicht mehr
Auch sachlich ist die bundesweite Regelung maximaler Mindestabstände kritikwürdig. Die Mindestabstände zur Wohnbebauung dienen der Abwehr von Gesundheitsgefahren, etwa durch lärmbedingte Schlafstörung. Mit den mit immer größer werdenden Modellen an Windkraftanlagen nahmen deren Lärmemissionen immer weiter zu. Schallemissionen von deutlich über 100 Dezibel am Generator sind bei den neueren Modellen die Norm. Aufgrund der auf weit über 100 Meter gestiegenen Turmhöhen wird der Schall zudem kaum noch durch Hindernisse am Boden gedämpft. Die Praxis hat gezeigt, dass für solche Großanlagen im Multi-MW-Bereich ein Abstand von 1.000 Metern zur Wohnbebauung oft nicht ausreicht. So braucht es an vielen Stellen mindestens 1.500 Meter.
Ein Beispiel findet sich in Bernau (Landkreis Barnim). Der Abstand der Windkraftanlagen im „Windpark Tempelfelde“ zur Wohnbebauung beträgt bei den Wohngebieten Nibelungen und Gieses Plan über 1.000 Meter. Monatelang beschwerten sich die Anwohner über Lärm und lärmbedingte Schlafstörungen. Zwar wurde bereits 1968 die Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) erstellt, die für alle Arten von Industrieanlagen gleichermaßen geltende Immissionsgrenzwerte festlegt. Doch die Anwohner hatten keine praktische Möglichkeit, sich darauf zu berufen.
„Die Bürger litten als Folge zu geringer Mindestabstände unter dem Lärm. Doch ohne Technik und Fachleute konnten sie die Grenzwertüberschreitungen nicht nachweisen und hatten keine rechtliche Handhabe. So ist es in vielen Orten in Brandenburg immer noch. In Bernau haben wir das Problem angepackt, indem wir Messungen eingefordert haben. Die bestätigten, dass die Lärmgrenzwerte trotz über 1.000 Metern Abstand regelmäßig überschritten wurden.“, so Péter Vida, der auch Stadtverordneter von Bernau ist.
Die Betreiber mussten ihre Windkraftanlagen daraufhin nachts drosseln. Versuche, die Anlagen mit anderen technischen Maßnahmen leiser zu machen, brachten keinen Erfolg. Die übermäßige Lärmimmission war also keinem technischem Problem geschuldet, sondern Folge des Normalbetriebs der Windkraftanlage. Siehe hierzu auch Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage „Nachfrage zur Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 893 – Erneute Lärmbelästigung durch Windräder in Bernau“, Drucksache 7/2823.
Forderung nach Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht
Die Formulierung der Bundesregelung lässt den Ländern keinen Raum, das geltende Recht an die größer werdenden Windkraftanlagen oder die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Sie untergräbt die Gesetzgebungskompetenz zur Gefahrenabwehr damit nicht nur in der Theorie, sondern gefährdet auch in der Praxis den Gesundheitsschutz durch aus Lärmschutzsicht unzureichende Mindestabstände.
Daher beantragt die BVB / FREIE WÄHLER Fraktion im Landtag Brandenburg, dass das Land das Bundesverfassungsgericht anruft und eine Normenkontrollklage auf Feststellung der Unvereinbarkeit der Regelung des § 249 Absatz 3 Satz 2 BauGB mit Art. 70 Absatz 1 des Grundgesetzes einreicht.